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2013/09/05

[資料・独語] イ・オクソンのドイツ講演

Dem "Menschenschlachthof" entronnen

Lee Ok-Seon ist 14 Jahre alt, als sie verschleppt und in einem japanischen Militärbordell zur Prostitution gezwungen wird. Ein Schicksal, das sie im Zweiten Weltkrieg mit Tausenden Koreanerinnen teilt. Noch heute kämpft sie um Entschädigung und eine Entschuldigung ihrer Peiniger. Eine Begegnung.

Von Martin Mühlfenzl, Berlin
Die runde Brosche am Blazer von Lee Ok-Seon scheint eine gewaltige Last für die kleine, zierliche Frau zu sein. Es wirkt, als sei das Schmuckstück schwer, so schwer, dass es die 86-jährige Koreanerin gewaltsam zu Boden zerren könnte. Tief gebeugt sitzt sie an ihrem Platz, während sie ihre Geschichte erzählt. Doch Lee Ok-Seon lässt nichts und niemanden mehr Gewalt über sich gewinnen; sie setzt sich zur Wehr. Gegen die Vergangenheit, die Erinnerung, die Schmerzen und gegen einen großen und mächtigen Gegner: den Staat Japan.

Lee ist eine von mehr als 200.000 "Trostfrauen", die während der japanischen Herrschaft über die Koreanische Halbinsel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Militärbordellen verschleppt, vergewaltigt, geschlagen und erniedrigt wurden. Bis heute hat sie dafür keine Gerechtigkeit erfahren. Doch sie kämpft gegen die Sturheit des japanischen Staates an. Sie will eine Entschuldigung und Entschädigung. "Für das Blut, das wir gegeben haben."

Lee führt diesen Kampf jeden Montag in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Mit ihren Leidensgenossinnen demonstriert sie dann vor der japanischen Botschaft. Doch der Staat ihrer ehemaligen Peiniger hört ihr nicht zu. Noch nicht.

"So haben sie mich gepackt"

"Hier in Deutschland oder in den Vereinigten Staaten ist das anders", sagt Lee bei ihrem Besuch an der Technischen Universität in Berlin. "Hier ist man viel weiter, auch mit der eigenen Geschichte. Aber ich bitte Sie: Hören sie mir ganz genau zu und unterstützen sie uns. Hören sie zu."

Es ist der Moment, in dem das Lächeln aus dem von tiefen Falten zerfurchten Gesicht der 86-Jährigen verschwindet. Lee schließt die Augen und erinnert sich an jenen Tag, der ihr Leben für immer veränderte. Plötzlich fahren die beiden Arme der zierlichen Koreanerin in die Luft, der linke Arm ergreift den rechten und zieht heftig daran: "So haben sie mich gepackt, die beiden Männer. Einfach so, und dann haben sie mich auf einen Lastwagen geworfen und mitgenommen."

Mit 14 entführt und ins Bordell gebracht

Es geschah in ihrer Heimatstadt Busan im heutigen Südkorea. 1941 - vier Jahre vor Ende des Krieges in Europa und Asien. Lee Ok-Seon war damals 14 Jahre alt und arbeitete als Hausmädchen bei einer fremden Familie. Zur Schule gehen durfte sie nicht, die Eltern konnten sich das Schulgeld nicht leisten. Doch auch ihre Zeit als Hausmädchen währte nicht lange. An einem Spätnachmittag im Frühjahr schlugen die Besatzer zu. Zwei Soldaten ergriffen die 14-Jährige auf offener Straße und verschleppten sie, fort aus ihrem Heimatland mit dem Zug über die Koreanische Halbinsel bis ins ebenfalls von den Japanern besetzte China. In ein Militärbordell - "Troststation" nennt Lee ihre Hölle noch heute. "Bordell" kann sie nicht sagen. Die Scham über das Erlebte sitzt immer noch zu tief.

Es ist sehr still an diesem Abend in der Berliner Universität. So still wie an den Abenden zuvor in Darmstadt, Hamburg und Berlin. Lee ist der Einladung des Korea Verbandes gefolgt, einer Institution, die sich dem interkulturellen Austausch widmet und zwischen zwei sich sehr fremden Kulturen für Verständnis werben will. Wenn Lee Ok-Seon an ihre Leiden zurückdenkt und ihren Zuhörern davon erzählt, legt sie eine Hand auf ihre Brust - ihre Stimme aber ist stark und kontrolliert. Sie verliert sich nicht in Details über das, was ihr in dem Bordell in der chinesischen Provinz Jilin angetan wurde. "Darüber will ich nicht sprechen", sagt sie entschieden. Und es ist auch nicht notwendig, um zu verstehen. Nur so viel: "Wir wurden in Kimonos gesteckt, die wir bis dahin nicht kannten. Und wir mussten tun, was von uns verlangt wurde."

Rückkehr nach Korea

Wie viele Frauen von den Japanern während des Zweiten Weltkrieges tatsächlich verschleppt wurden, ist bis heute nicht geklärt. Der Korea Verband geht von weit mehr als 200.000 Mädchen aus, meist im Alter zwischen elf und 15 Jahren. Sie sollten die japanischen Soldaten und Offiziere zum einen davor schützen, sich Geschlechtskrankheiten einzufangen; zum anderen wollten die Besatzer mit den "Troststationen" Massenvergewaltigungen in den okkupierten Gebieten verhindern.

Die Machthaber setzten ihren Willen mit roher Gewalt durch. Den Mädchen, die schwanger wurden, wurden die Bäuche mit Messern aufgeschlitzt, erinnert sich Lee. Die Kinder wurden getötet und vergraben, die Frauen verbluteten. Auch sie selbst wurde Opfer von Gewalt. Ein Soldat verletzte sie mit einer Machete am Oberarm, als sie ihm widersprach und davonlaufen wollte: "Aber was hätte es gebracht? Ich wusste ja nicht wohin und ich hatte kein Geld."

Geld. Darum dreht sich auch der Protest der noch lebenden Trostfrauen. Erstmals hat sich im Jahr 1991 in Korea eine der ehemaligen koreanischen Zwangsprostituierten mit ihrer Lebensgeschichte an die Öffentlichkeit gewagt. Seither folgten ihr Hunderte Leidensgenossinnen - immer unter dem so skeptischen wie schamvollen Blick der Öffentlichkeit. Und Japan? Hat zwar längst die Existenz von Trostfrauen anerkannt, zu Entschädigungen oder gar einer umfassenden Entschuldigung aber konnten sich die Japaner nie durchringen - und werden es wohl auch nie. "Die sitzen das aus. Bis es von uns keine mehr gibt", sagt Lee Ok-Seon, und die Verbitterung ist ihr anzumerken. Doch ihr Hass ist mittlerweile verflogen: "Es gibt nicht nur schlechte Japaner. Aber einer davon war der Tenno, der sich nie bei uns entschuldigt hat." Gemeint ist Japans verstorbener Kriegs-Kaiser Hirohito.

Das Ende des Martyriums

Dass sie selbst den "Menschenschlachthöfen" der Japaner entkommen ist, hält Lee für ein kleines Wunder: "Das habe ich sicher nur geschafft, weil Gott bei mir war." Der Glaube habe ihr durch diese Zeit geholfen. Auch dann, als die Japaner ihr die Gebärmutter entfernten.

Nach dem Ende ihres Martyriums blieb sie zunächst in China, lernte dort ihren späteren Mann kennen, der ebenfalls aus Korea kam und kümmerte sich um dessen Kinder. 2000 aber wagte sie nach dem Tod ihres Mannes einen gewaltigen Schritt und kehrte nach Korea zurück. In das Land, aus dem sie Jahrzehnte zuvor von fremden Machthabern verschleppt wurde. Heute kämpft sie dort um ihre Ehre und Würde.

Plötzlich öffnet Lee in dem Raum an der TU Berlin wieder ihre Augen. Ein Ruck geht durch ihren Körper, sie reißt ihren linken Fuß nach oben, legt ihn auf den Tisch. Dann lacht die zierliche Koreanerin: "Da wurde ich von einem Soldaten mit einem Schwert verletzt. Er wollte mich töten, aber ich war schneller." Der Schmerz an der Stelle, an der sie getroffen wurde, kommt immer wieder - manchmal in den komischsten Momenten. Bei Veranstaltungen wie dieser, bei Protesten oder in ihrem Zuhause, einem Heim für ehemalige Trostfrauen in Seoul. Doch manchmal, in Situationen wie jetzt, kann Lee Ok-Seon sogar darüber lachen.

南ドイツ新聞 2013.9.4